Baymax – Riesiges Robowabohu (Teil 2)
Technische Innovationen
Technisch gesehen ist Baymax wohl eine Meisterleistung: Während mit dem Rendering-Programm Hyperion wird die gewaltige Metropolen-Welt von San Fransokyo buchstäblich in ins rechte Licht gesetzt wird, wird sie durch die Software Denizen mit 670 individuellen Figuren bevölkert wird, die durch die Variation von Kleidung, Frisuren und Hauttönen zu einer gewaltigen Armee aus mehr als einer halben Million Individuen anwachsen.
Die Akteure
- Hiro Hamada ist der Held des Films und durchläuft in dessen Verlauf auch die heldentypische Entwicklung vom unreifen Kind, das auf eine gefährliche Reise auszieht, Abenteuer bestehen und Enttäuschungen verwinden muss, bis er schließlich am Ende seiner Suche, zum wahren Helden herangereift, ein völlig anderes Ziel erreicht als erwartet.
Auch wenn von der Marvel-Comic-Vorlage eigentlich nicht mehr als die Namen der Akteure übrig sind, ist doch besonders das Auslöffeln selbsterzeugter Probleme (ohne Microbots kein Yokai) und das Heldsein trotz alltäglicher Probleme besonders Marveltypisch.
Diese klassische Heldenodyssee -die innere holprige Reise des Erwachsenwerdens- manifestiert sich auch in der Handlung des Films und spiegelt sich in Hiros äußerer Erscheinung wieder. Ist er zu Beginn noch ein unreifer, nachlässig gekleideter Rebell, erscheint er am Ende des Abenteuers als strahlender Held, der durch die beschriebenen Erlebnisse innerlich gereift ist und seine neue Rolle in der Welt arrangiert hat. Alle weiteren Akteure können sowohl als selbständige (aber unwichtige) Nebenfiguren oder als (essentielle) Verkörperungen von Hiros Charakter und Entwicklung interpretiert werden. - Baymax ist der Sidekick und bildet mit seiner emotionslosen und unaufgeregten Art, den ruhigen Gegenpol zum aufbrausenden und aufgewühlten Hiro. Und auch wenn es natürlich komische Situationen gibt, die sich aus der Absurdität eines Roboters in der Interaktion mit Menschen ergibt, er stellt kaum mehr als ein Werkzeug dar und wächst aus dieser Rolle auch zu keinem Zeitpunkt heraus.
Das bedeutet jedoch keineswegs, dass er die Geschichte und damit seinen Schützling Hero nicht beeinflußen würde. Denn während er einerseits, durch seine unaufdringliche Art, uns Zuschauern einen Identifikationspunkt liefert, über den wir seine Welt betreten und sie unmittelbar erleben können, ist es gerade diese naive einfache Klarheit, die Baymax‘ Stimme ein besonderes Gewicht verleiht, wenn die anderen Akteure einmal das Ziel aus den Augen verlieren. Er sieht die Welt mit den Augen eines Kindes und ist dadurch vielleicht sogar der weiseste Akteur des Films. - Fred ist der durchgeknallte Träumer, der sorglos in den Tag hinein lebt. Er ist ein unerschütterlicher Optimist und glaubt fest daran, dass die Welt gut und voller aufregender Erfahrungen ist.
Fred ist der lebende Bewis dafür, dass Träume wahr werden können, wenn man nur fest genugt an sie glaubt. Er symbolisiert Hiros Glauben, der ihm Hoffnung gibt. - GoGo Tomago ist eine hochintelligente, selbstbewußte, attraktive Frau. Sie symbolisiert Hiros Aggression, die ihn, in die richtigen Bahnen geleitet, unaufhaltsam ans Ziel bringen.
Leider ist Gogo ein weiterer starker, weiblicher Charakter, der trotz seines Potentials und ein paar netter Auftritte („Hör auf zu jammern und sei mal ne Frau!“), schnell nur zum flitzenden Kanonefutter verkommt. - Wasabi sollte ursprünglich ein mystisch angehauchter, spirituell angelegter Charakter sein, man entschied sich aber dagegen und machte ihn zu einem quengelnden Neurotiker. Damit erfüllt er das traurige Stereotyp des feigen, großmäulig dauerplappernden und irgendwan ziemlich nervtötenden Schwarzen. Somit verkörpert Wasabi vermutlich Hiros Ängste und Befürchtungen.
- Honey Lemon ist eine weitere intelligente, charakterstarke und hübsche Frau. Sie ist stets sehr laut, extrovertiert, laut und redet viel. Und vor allem ist sie laut. Sie stellt Hiros Tatkraft und Entschlossenheit dar. Leider verkommt auch sie von einer dauerplappernden, schrillen Tussi, mit der Zeit zu einem knallbunten, mit Matschepampe werfenden Bonbon.
- Tante Cass ist sicherlich der entbehrlichste Charakter des Films. Ohne sie würden dei beiden Brüde alleine wohnen. Das wars. Ansonsten Hat sie keine ahnung von Kindern, kocht Essen dass niemand will und umarmt ständig jemand, damit man sieht, wie herzlich sie doch ist.
In disneytypischer Ignoranz der Trauersituation des Helden, organisiert und macht und tut sie alles, außer sich um ihren Schutzbefohlenen und dessen tieftraurige Lage zu kümmern. Kein Wort des Trostes, der Weisheit, des Mitgefühls.
Wen wundert es da, dass der kleine sich einem sprechenden Latexballon zuwendet, um seine Trauer zu verarbeiten. - Professor Callaghan ist ebenfalls ein sehr flacher Charakter. Zunächst ist er das große Genie, dass von Hiro bewundert wird.
[spoiler title=‘!!!Dieser Text enthält Spoiler!!!‘ collapse_link=’true‘]Als sich dann jedoch herausstellt, dass er hinter Yokai und dem Brand in der Tech steckt, weil er sich so an Krei für das verschwinden seiner Tochter rächen will, wird der finstere Superschurke dadurch keineswegs zur tragischen Figur. Denn auch in dieser Rolle bleibt er eher flach und uninteressant.[/spoiler] - Auch Aleister Krei ist bestenfalls ein stereotyper Machtbesessener. Der typische Geschäftsmann, der über Leichen geht, um seine Ziele zu erreichen.
[spoiler title=‘!!!Dieser Text enthält Spoiler!!!‘ collapse_link=’true‘]Sobald sich dann herausstellt, dass er gar nicht Yokai ist, sondern von diesem verfolgt wird, weil eines seiner ehrgeizigen Projekte, einen geliebten Menschen vermeintlich das Leben gekostet hat, verkommt Krei lediglich zum fadenscheinigen Vorwand für Yokais Entstehung.[/spoiler] - Tadashi Hamada schließlich ist der Mensch, der Hiro anstrebt zu sein. Er ist ehrgeizig ohne rücksichtslos zu sein, bestimmt aber fürsorglich, intelligent, gütig, freundlich und gut.
Nur einer solchen Vaterfigur konnte die Schöpfung eines so reinen und gütigen Wesens wie Baymax gelingen.
Kritik
Baymax ist ein schöner Disney-Animationsfilm in technischer vollendung. Auch der Humor kommt nicht zu kurz und gerade Bastian Pastewkas Interpretation von Baymax lässt nichts zu wünschen über. Nie war ein monotoner Tonfall so rührend.
Ansonsten ist aber leider oft der furchtbare deutsche Titel auch Programm: Riesiges Robowabohu.
Das Durcheinander an Schauplätzen, Akteuren, Wendungen und Action verkommt irgendwann zu einem kunterbunten Mix, der in der Erinnerung zwar noch als ein teils Rühriges, teils spaßiges Etwas zurückbleibt, insgesamt aber nur die zweistündige Entstehungsgeschichte eines Superheldenteams darstellt, das letztlich nur aus einer einzigen Person besteht.
Betrachtet man die Geschichte aber als Coming-of-age-Metapher und legt den Fokus auf Hiro und seine Entwicklung, kann es gelegentlich sogar zu einer Gänsehaut kommen, welche über die blassen Charaktere und die teils abstruse Handlung hinwegsehen lässt.
Fazit
Baymax ist ein toller Film für groß und klein, für Zeichentrick-, wie für Superhelden-Fans. Wer sich von dem Wust an allem nicht überwältigen lässt, der hat auch noch Spaß genug daran, den Abspann abzuwarten und sich die ulkige Post-Credit-Szene anzuschaun.
Bonbonbuntes Popcornkino für die ganze Familie.
Übrigens…
… sind sowohl Baymax als auch der süße Vorfilm Liebe geht durch den Magen je für einen Oscar in den Kategorien Bester Animationsfilm und Bester animierter Kurzfilm nominiert.
UPDATE (23. Februar 2015) Bei der 87. Oscar-Verleihung erhielt BAYMAX – RIESIGES ROBOWABOHU einen Oscar in der Kategorie Bester Animationsfilm. Auch LIEBE GEHT DURCH DEN MAGEN ging natürlich nicht leer aus und räumte den Oscar für den besten animierten Kurzfilm ab |
Baymax startet am kommenden Donnerstag, den 22. Januar 2015 in deutschen Kinos.
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